Das Problem ist schnell umrissen: Die geburtenstarke Generation der Babyboomer geht sukzessive in Pension, im Gegenzug kommen deutlich weniger junge Menschen auf den Jobmarkt. Der durch den demografischen Wandel entstandene Mangel an Arbeitskräften hat bereits eingesetzt und wird sich weiter verschärfen. Entweder kommen durch Migration und Zuzug Menschen im arbeitsfähigen Alter ins Land, oder die vorhandenen Arbeitskräfte müssen die Lücke füllen. Eine Möglichkeit hat Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) dadurch ins Spiel gebracht, dass er Teilzeitarbeit zugunsten von mehr Vollzeitbeschäftigung in Österreich verringern will. Zunächst hatte er sich sogar für geringere Sozialleistungen bei freiwilliger Teilzeitarbeit ausgesprochen, meinte zuletzt aber, er wolle nur Missstände und Problemfelder aufzeigen und eine "faktenbasierte Diskussion" anstoßen. Worum es konkret geht.

Frage: Die Teilzeitdebatte ist wieder hochgekocht. Was ist dabei das Problem?

Antwort: Der hohe Anteil an Teilzeitbeschäftigung hat Auswirkungen auf die Wirtschaft und das Sozialsystem: Je mehr Menschen in Teilzeit arbeiten, desto schwerer wird es, Österreichs Sozialsystem zu finanzieren, weil mit der zunehmenden Alterung auch die Ausgaben im Sozial- und vor allem Pensionssystem steigen. In Zeiten des Arbeitskräftemangels ist das auch für Betriebe ein Problem. Fehlen diesen Arbeitskräfte, müssen sie Aufträge ablehnen. Auch das trifft eine Volkswirtschaft. Denn erwirtschaften Unternehmen weniger, führen sie auch weniger Abgaben ab. Das wiederum wirkt sich auf den Staatshaushalt aus.

Viele junge Menschen legen Wert auf bessere Work-Life-Balance. Arbeiten bis zum Umfallen gehört nicht dazu.
Foto: Imago / Christian Ohde

Frage: Arbeiten in Österreich tatsächlich so viele Menschen Teilzeit?

Antwort: Gut 4,3 Millionen Erwerbstätige zählte Österreich im Jahr 2021. Rund 1,27 Millionen davon waren teilzeitbeschäftigt. Die Teilzeitquote lag bei 29,4 Prozent. Österreich zählt damit europaweit zu den Spitzenreitern. Als teilzeitbeschäftigt gelten jene Menschen, die weniger als 36 Stunden pro Woche arbeiten. Während die tatsächlich geleistete durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit bei Vollzeitkräften bei 41,9 Stunden liegt, werken Teilzeitkräfte rund 21,5 Stunden. Den Großteil der Teilzeitjobs verrichten Frauen. Nur 50,4 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten Vollzeit, knapp über eine Million Frauen waren 2021 in Teilzeit, aber nur 266.321 Männer.

Frage: Warum ist das so?

Antwort: Die Frauenbeschäftigung ist zuletzt gestiegen. Während Teilzeitarbeit in früheren Jahren das Arbeitskräfteangebot sogar ausgeweitet hat, weil Frauen davor gar nicht am Arbeitsmarkt verfügbar waren, wird diese Entwicklung längerfristig zum Problem. Oft ist für Frauen aufgrund von Betreuungspflichten ein Vollzeitjob gar nicht möglich. Dazu kommt, dass diese nicht immer dort verfügbar sind, wo es auch ein Betreuungsangebot gibt. Nicht zuletzt spielt auch der Umstand, dass Männer oft mehr verdienen als Frauen, eine Rolle, denn zuerst bleibt im Zweifel jener Elternteil daheim, der weniger zum Haushaltseinkommen beiträgt. Dazu kommen finanzielle Anreize. So ist der Eingangssteuersatz in Österreich recht hoch. Wer zwischen 11.693 und 19.134 Euro pro Jahr verdient, zahlt Einkommenssteuer in Höhe von 20 Prozent. Wer unter 11.693 Euro bleibt, zahlt nichts. Arbeitszeit aufzustocken ist daher oft nur bedingt interessant.

Frage: Abgesehen von persönlichen Gründen: Würde es die steigende Produktivität nicht erlauben, dass Menschen weniger arbeiten?

Antwort: So einfach ist das nicht. Dass Arbeitnehmer bei geringerem Arbeitsumfang produktiver werden, belegen zwar einige Beispiele aus der Praxis. Für Unternehmen lautet die Frage, ob sich die Wünsche nach weniger Stunden wirtschaftlich rechnen. Immer wieder schaffen es Betriebe in die Schlagzeilen, die ohne Einbußen ihre Arbeitszeit gleich für die ganze Belegschaft verkürzen. In manchen Branchen kann die Produktivität aber nicht steigen. Ein Lkw-Fahrer kann auch bei geringerer Wochenarbeitszeit in Relation nicht mehr Fahrten erledigen. In anderen Berufen kann eine geringere zeitliche Arbeitsbelastung durchaus zu höherer Produktivität führen, also einer relativ besseren Arbeitsleistung pro Stunde. Allerdings hat die Forschung gezeigt: Der Zusammenhang zwischen Produktivität und Arbeitszeit ist nicht linear, was beim einen funktioniert, läuft beim anderen Betrieb nicht.

Es sind vor allem Frauen, die Teilzeit arbeiten. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Kinderbetreuung ist einer davon.

Frage: Wie wäre es, die gesamte Arbeitszeit in einem Land zu reduzieren? Würde die Beschäftigung dann nicht steigen?

Antwort: Zumindest ein Beispiel sagt: Nein. Als in Frankreich die 35-Stunden-Woche eingeführt wurde, hofften Befürworter, dass die Beschäftigung steigen würde. Das war aber nicht der Fall.

Frage: Inwiefern bevorzugt das Steuersystem generell Teilzeitarbeit?

Antwort: Wegen der nach Einkommen gestaffelten Grenzsteuersätze der Lohnsteuer wird zusätzliche Arbeitszeit finanziell immer weniger attraktiv. Zusätzliche Arbeitsstunden haben also einen abnehmenden Grenznutzen. Die ersten zwei geleisteten Wochenstunden sind steuerfrei, sofern sie nicht mehr als 985,42 Euro pro Monat einspielen. Bei den letzten beiden fällt hingegen der individuell höchste Steuersatz an, der bei absoluten Spitzenverdienern 55 Prozent beträgt. Das Anreizproblem lautet also: Je mehr Wochenstunden Arbeitnehmende leisten, desto höher fällt der Steueranteil am Einkommen aus.

Frage: Welche besondere Rolle spielt dabei geringfügige Beschäftigung?

Antwort: In Österreich sind fast 340.000 Menschen geringfügig beschäftigt, was höchstens 500,91 Euro monatlich einspielen darf. Arbeitnehmende zahlen unterhalb des Grenzbetrags keine Abgaben, Arbeitgeber nur 1,1 Prozent Unfallversicherung. Für jeden Euro an Verdienst darüber werden die vollen 15,12 Prozent an Versicherung fällig. Die Geringfügigkeitsschwelle gilt daher als große Hürde, die zusätzliches Arbeiten verhindert. Etliche Experten sprechen sich daher für eine Abschaffung aus.

Alle könnten weniger arbeiten, auch diese Idee kursiert. Ob das für eine Volkswirtschaft wie Österreich leistbar wäre, darüber gehen die Meinungen auseinander.

Frage: Wie lauten ihre Argumente?

Antwort: Für eine Abschaffung der Geringfügigkeit ist Ökonomin Andrea Weber von der Central European University in Wien. Die Regelung diente einst dazu, Industriebetrieben zu ermöglichen, bei Auftragsschwankungen rasch und unkompliziert zusätzliches Personal zu finden. Doch diese Idee ist in Zeiten notorischen Personalmangels nicht mehr zeitgerecht, kritisiert die Volkswirtin.

Frage: Was würde die Abschaffung bewirken?

Antwort: Für Wifo-Expertin Christine Mayrhuber ist Geringfügigkeit zwar ein Fremdkörper im System, ein großes Plus sollten sich Sozialversicherungen von einer Reform aber nicht erwarten: Auf geringfügige Beschäftigung entfällt ihr zufolge nur ein Prozent der gesamten Lohnsumme. Zudem verweist sie auf mögliche negative Folgen: "Ist die Alternative zur Teilzeit Nichterwerbstätigkeit, hat das negative Auswirkungen auf die Finanzierung der Krankenversicherung, der Sozialversicherung insgesamt."

Frage: Wie könnten Alternativen aussehen?

Antwort: AMS-Chef Johannes Kopf bringt etwa eine Absenkung der Geringfügigkeitsgrenze auf den halben Wert ins Spiel. Die Wirtschaftskammer hingegen spricht sich nur gegen geringfügigen Zuverdienst in der Arbeitslosigkeit aus. Wobei eine Abschaffung der Geringfügigkeit etwa bei Pensionsbeziehern wenig sinnvoll erscheint, da für diese der finanzielle Anreiz für zusätzliche Beschäftigung geringer ausfallen würde. Dies könnte den Arbeitskräftemangel sogar befeuern. (Regina Bruckner, Alexander Hahn, 27.2.2023)